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Steinbeißer, Dorngrundel
Steinbeißer (Cobitis taenia)
Die erste Begegnung mit diesem außergewöhnlichen Bewohner unserer heimischen Gewässer war zugegebenermaßen rein zufällig und überraschend. Seit einigen Jahren streife ich mit meiner Kamera leidenschaftlich durch die Unterwasserwelt Deutschlands und bin bis heute fasziniert über die Vielfalt und Schönheit dieser einmaligen Flora und Fauna. Brandenburg mit seinen über 3000 Seen bietet mir alle Möglichkeiten, diese Leidenschaft auszuleben.
Während ich über einen Pflanzenteppich aus verschiedenen Armleuchteralgen schwebe, glaube ich, im Augenwinkel meiner Tauchermaske am sandigen Grund eine Bewegung zu erkennen. Mein Blick richtet sich auf den hellen Sand, doch da war nichts außer eben diesem Sand. Eine kleine Sedimentwolke gibt mir dennoch die Gewissheit, nicht unter dem narkotischen Einfluss des eingeatmeten Stickstoffes zu fantasieren. Sicherlich ein kleiner Flussbarsch, der vor meinen lärmenden Atemluftblasen Reißaus genommen hat, denke ich mir und tauche weiter.
Lebensraum Sand
Und wieder. Jetzt nehme ich mir die Zeit und scanne den Seegrund. Das Auge gewöhnt sich an die kleinen Dinge am Boden. Wassermilben und Wasserflöhe tanzen im klaren Wasser. Das reichlich vorhandene Zooplankton wird nicht die Ursache meiner uneingeschränkten Aufmerksamkeit gewesen sein. Ich schaue zwischen den Sprossen der angrenzenden Makrophyten. Was ist das?
Beobachtungen in heimischen Seen
Ein länglich gelber Körper mit einem kunstvollen Muster aus braunen Flecken liegt bäuchlings zwischen den Pflanzen auf dem Sand, nicht größer als 6 cm. Auf der einen Seite ein spitz zulaufender Kopf mit schwarzem Knopfauge, auf der anderen Seite eine große, gestreifte Schwanzflosse. In der Mitte des Körpers hat sich eine nicht zu übersehende Rückenflosse aufgestellt. Ein Fisch, aber kein mir bis dato Bekannter. Hecht, Schlei, Flussbarsch, Rotauge und Rotfeder als häufige Vertreter unserer heimischen Fauna durfte ich bereits mehrfach in unseren Seen in ihrem natürlichen Habitat beobachten, aber diesen vor meiner Maske liegenden Vertreter kenne ich nicht.
Auf Augenhöhe mit Dorngrundeln
Ein Beweisfoto muss her. Noch ehe ich meine Kamera in Position gebracht habe, bohrt sich der scheue Fisch mit zappelnden Bewegungen in den weichen Sand und ist verschwunden. Dieses Verhalten erklärt meine vorherige, erfolglose Suche. Meine Recherchen bestätigten meine erste Begegnung mit einem Steinbeißer. Mittlerweile kenne ich einige Lebensräume dieser standorttreuen und anspruchsvollen Fische in unseren Seen und besuche sie von Zeit zu Zeit mit meiner Kamera.
Wenn mich Freunde und Bekannte fragen, was man denn alles in unseren heimischen Gewässern sieht, ich dann vom kleinen Steinbeißer schwärme, begegnet mir in der Regel Verwunderung. Angler erwidern gern, dass der Steinbeißer im Atlantik vorkommt und ein delikater Speisefisch ist, meinen dabei jedoch den gefleckten oder gestreiften Seewolf, der zum heimischen Namensvetter nicht verschiedener sein kann.
Der Steinbeißer, auch als Dorngrundel oder Steinpicker bekannt, gehört zu den Schmerlen mit ihrem typischen, unterständigen und bartelbesetzten Maul. Mit diesem für den Lebensraum Sand perfekt angepasstem Werkzeug saugen sie den Sand regelrecht auf („beißen in den Stein“), filtrieren alles Zoobenthos (im Boden lebende Organismen) und stoßen Unverwertbares über die Kiemen sofort wieder aus. Auch wenn die Tiere als nachtaktiv beschrieben werden, konnte ich dieses Fressverhalten mehrfach tagsüber beobachten. Vielleicht lässt diese Art der Nahrungssuche und –aufnahme diesen kleinen Fisch mit einer Maximallänge von 10 -12 cm deshalb zu den Karpfenartigen zählen.
Steinbeißer, Dorngrundel, Schmerle
Zahlreiche Verhaltensbeobachtungen und ein vorsichtiges Tauchen erlauben mir nunmehr ein detailtreues Ablichten dieser scheuen Fische. Erst diese Nahaufnahmen machen die kleinen Details wie die sechs sensitiven Barteln oder die der Verteidigung dienenden, ausklappbaren Dornen unter den Augen sichtbar. Die meiste Zeit verbringen die Steinbeißer im Sand vergraben. Allein das oberhalb am Kopf sitzende Augenpaar wacht. Eine ziemliche Herausforderung, diese wunderschönen Vertreter unserer artenreichen Fischfauna in diesem Zustand aufzuspüren.
Steinbeißer zählen zu den geschützten Tieren und finden eine Nennung in der Europäischen FFH-Richtlinie. Sie sind Indikatoren für saubere und gesunde Gewässer und benötigen ausgiebige Sandflächen frei von Verunreinigungen. Insofern wundert es mich nicht mehr, dass ich einige Steinbeißer-Populationen in unmittelbarer Nähe von Badestränden finden konnte, wo der Sand mehrfach umgewälzt wird.
Geschützte Fische im unseren Seen
Die in „Kolonien“ lebenden, kleinen Fische warten mit weiteren Besonderheiten auf, die sie zu wahren Überlebenskünstlern machen. Die Verwertung von Sauerstoff im Darm, sogenannte Darmatmung, ermöglicht dem Steinbeißer das Überdauern von sauerstoffarmen Phasen im Wasser. Die filigranen, mehrreihigen Muster auf der mit sehr kleinen Schuppen besetzten Fischhaut unterscheiden die einzelnen Individuen ähnlich einem menschlichen Fingerabdruck.
Darmatmung und Jungferngeburt
Wie bei den meisten Lebewesen unserer Region steht der Frühling auch bei den Steinbeißern ganz im Zeichen der Reproduktion. Die von den Weibchen abgelegten Eier werden von den Männchen unmittelbar besamt und entlassen die Larven nach nur gut einer Woche. Mangelt es an Männchen, besitzt das Steinbeißer-Weibchen die Fähigkeit einer Jungferngeburt. Das Paarungsverhalten dieser Fischart ist mir allerdings bisher verborgen geblieben.
Wunderbare Unterwasserwelt
Das gewonnene Wissen über das Verhalten und die beanspruchten Lebensräume dieser kleinen Fische lässt mich achtsamer und aufmerksamer durch die Unterwasserwelt gleiten. Für mich zählen die Steinbeißer zu den schönsten und interessantesten Fischen in unseren heimischen Gewässern und ich freue mich auf noch zahlreiche Begegnungen in lebendigen Seen.
Wo seid ihr diesem Fisch begegnet?
Freue mich auf eure Kommentare, Anmerkungen, Tipps, Links und Bilder.
Text erschienen: "Natur Erleben" 04/2016 & "Fischwaid" 01/2017